ART. originale in Tedesco / leggere alla fine la traduzione dello stesso.
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Montis Morgenstreich
11.07.2012 · Als sich die Bundeskanzlerin am Morgen des Brüsseler EU-Gipfels Ende Juni schlafen legte, glaubte sie, ein gutes Ergebnis ausgehandelt zu haben. Doch als sie aufwachte, sah sie wie die Verliererin des Treffens aus - und war es doch nicht.
Von Nikolas Busse, Brüssel
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- © AFP
Monti am frühen Morgen, als er den entscheidenden Treffer......
erzielt
Die Geschichte dieses EU-Gipfels beginnt viele tausend Kilometer entfernt von Brüssel. Im mexikanischen Badeort Los Cabos findet in der Woche vor dem Europäischen Rat ein Treffen der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer statt. Auf dieser Konferenz der sogenannten G20 tischt der italienische Ministerpräsident Mario Monti eine Idee auf, die es in sich hat. Er verlangt, dass die Europäische Zentralbank automatisch Staatsanleihen in der Eurozone aufkaufen soll, wenn die Zinsen eines Landes eine gewisse Höhe überschreiten; abgesichert werden soll das durch den Hilfsfonds ESM.
In den Zeitungen wird am nächsten Tag noch nicht jedes Detail dieses Vorschlags stehen, aber den Eingeweihten ist klar: Da braut sich etwas zusammen, das sich massiv gegen die Spar- und Reformpolitik der Bundeskanzlerin richtet. Denn Italien steht nicht kurz vor der Insolvenz, für den Schuldendienst gibt das Land aktuell weniger aus als vor vier Jahren. Nein, Monti will für reformwillige Länder, wozu er sein eigenes zählt, einen niedrigeren Zins - und zwar ohne jene lästigen Auflagen, auf die Angela Merkel seit Beginn der Krise pocht. Und Monti sucht sich Verbündete, um die Kanzlerin unter Druck zu setzen. Der neue französische Präsident François Hollande äußert schon in Los Cabos Zustimmung, ein paar Tage später telefoniert Monti mit Präsident Barack Obama. Dass er versucht, den Amerikaner für seine Sache einzuspannen, ruft in Brüssel Ärger hervor.
In Deutschland schafft es diese Debatte nicht auf die Titelseiten. In den Tagen vor dem Gipfel lässt sich das Land von der Abwehrschlacht der Kanzlerin gegen Eurobonds beruhigen („nicht solange ich lebe“) und nimmt mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis, dass Spanien für seine desolaten Banken nach langem Hin und Her doch einen Hilfsantrag bei der EU stellt. In der Regierungserklärung, die Frau Merkel am Tag vor dem Gipfel im Bundestag vorträgt, verliert sie kein Wort über mögliche weiter gehende Forderungen aus Italien und Spanien. Monti und den spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy erwähnt sie nur ein einziges Mal, sie lobt die beiden mit je einem Satz für die Reformen, die sie zu Hause angepackt haben. Die europäische Bankenaufsicht, die sie zwei Tage später zu ihrem Gipfelerfolg erklären wird, kommt irgendwo in der Mitte vor.
ECB President Draghi talks to Germany's Chancellor Merkel during European Union leaders summit in Brussels © REUTERS
EZB-Präsident Draghi während des Gipfels mit der Kanzlerin
Immerhin formuliert sie da einen Satz, der fast wie das spätere Gipfeldokument klingt: „Die Situation in Spanien zeigt, wie wichtig es ist, auch den Bankensektor verstärkt in den Blick zu nehmen und Ansteckungsgefahren zwischen Banken und Staatsfinanzen zu verringern. Zu diesem Zweck brauchen wir eine glaubwürdige europäische Bankenaufsicht, die objektiv agiert und auf nationale Belange keine Rücksicht nimmt.“ Sie fügt hinzu, dass dafür „bald“ die ersten Schritte zu gehen seien. Das klingt nicht so, als sei damit der nächste Abend gemeint. Vielleicht übersieht die Presse deshalb die Passage.
Am Gipfeltag findet in Berlin zunächst eine Unterrichtung für die Journalisten statt, wie das vor jedem Europäischen Rat üblich ist. Da erklären dann die sogenannten Regierungskreise, was die Kanzlerin auf dem Gipfel erreichen will. Eines wird recht schnell klar, wenn man den Kreisen zuhört: Frau Merkel hat diesmal kein großes Ziel, sie will nicht mit einer Vertragsänderung oder einem Fiskalpakt nach Hause fahren. Die Bundesregierung ist im Abwehrmodus, sie kämpft gegen die immer neuen Verlangen, die nun im Stundentakt aus Rom und Madrid gemeldet werden: Eurobonds, eine direkte Finanzierung der spanischen Banken durch die EU, einen Zinsmechanismus für Italien. Die rote Linie, die gezogen wird, lautet: keine neuen Instrumente. Es fällt ein Satz, der vielleicht ein bisschen zu sehr nach harter Haltung und Kompromisslosigkeit klingt: „Als sich Polen an den IWF gewandt hat, dann ist auch nicht erst von Polen mit dem IWF verhandelt worden, ob das Instrumentarium nicht verändert und auf Polen zugeschnitten werden kann.“ Als die Kanzlerin am Tagungsort ankommt, sagt sie nichts zu alledem, sondern belässt es bei ein paar freundlichen Worten über das Wachstumspaket, das die Staats- und Regierungschefs in wenigen Stunden verabschieden wollen.
Die Bankenaufsicht, das war allen klar, könnte Element eines Gipfelhandels sein
Hinter den Kulissen hat sich allerdings schon in den Tagen zuvor die „Landungszone“ abgezeichnet, wie das ein Beamter in Brüssel nennt. Die ungeschriebene Regel auf EU-Gipfeln lautet, dass die Beschlüsse für jeden vertretbar sein müssen. In der Eurogruppe hatten die Finanzminister schon über die Bankenaufsicht geredet, deswegen ist allen Beteiligten klar, dass das ein Element eines Gipfelhandels sein kann. Und dass die Eurozone nicht einfach zusehen wird, wie die Märkte von Italien und Spanien höhere Zinsen als von Pakistan oder Botswana verlangen, daran zweifelt eigentlich auch niemand. Das empfinden nicht nur diese beiden Länder als besonderen Druck, sondern auch die deutsche Delegation.
Das Aushandeln der Gipfelerklärungen ist Sache der Finanzstaatssekretäre und „Sherpas“. Letztere sind hohe Beamte in den Regierungskanzleien, die tatsächlich so heißen, weil sie den „Chefs“ beim Erklimmen eines Gipfels helfen müssen. Der deutsche „Sherpa“ ist Nikolaus Meyer-Landrut, der europapolitische Berater der Kanzlerin. Die Runde kommt um 18 Uhr zu einer Sitzung unter der Leitung von Frans Van Daele zusammen, dem Kabinettschef von Ratspräsident Herman Van Rompuy. Manche sagen im Nachhinein, Van Rompuy hätte die Sache früher an sich ziehen müssen, dann wäre es glatter gelaufen. In drei Runden bereiten diese Beamten bis etwa ein Uhr morgens die Vorlage für die kurze, eineinhalbseitige Gipfelerklärung vor, die später vor allem in Deutschland so viel Aufregung hervorrufen wird. Über ein paar Formulierungen können sie sich nicht einigen, die werden an die „Chefs“ gereicht.
In deren Sitzungssaal kommt es früh zu dem Vorfall, der hinterher von Teilen der Medien als Erpressung beschrieben wird. Vor allem Monti, aber auch Rajoy sagt, dass er dem Wachstumspakt erst zustimmen könne, wenn etwas zur „kurzfristigen Stabilisierung“ Italiens und Spaniens vereinbart sei. Eigentlich ist das kein ungewöhnliches Vorgehen, denn auf EU-Gipfeln gilt seit jeher der Grundsatz, dass Beschlüsse im Paket gefasst werden und erst alles beschlossen ist, wenn jeder Punkt beschlossen ist. Aber Monti kommt mit diesem Manöver sehr spät, es wirft die Tagesordnung durcheinander. Van Rompuy wollte eigentlich schon am frühen Abend eine Pressekonferenz geben, um als erste Erfolgsmeldung den bereits vorverhandelten Wachstumspakt zu verkünden. Auch die Kanzlerin plant eine kurze Erklärung. Die Auftritte vor der Presse werden verschoben, Frau Merkel wird den ihren später ganz absagen. Dann muss der Eurogipfel vorgezogen werden, der eigentlich erst nach Abschluss des Gipfels aller 27 Mitgliedstaaten hätte stattfinden sollen. Man stellt sich auf eine lange Nacht ein.
Die Nichteuroländer machen ihrem Unmut Luft
Was genau die „Chefs“ einander bis zum Morgengrauen sagen, gehört zu den besser gehüteten Geheimnissen Brüssels, weil die Sitzungen vertraulich sind. Aus diesem Europäischen Rat dringt aber immerhin nach außen, dass vor allem die Nichteuroländer ihrem Unmut Luft machen. Die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt beschwert sich, dass Monti und Rajoy alle EU-Länder in Geiselhaft für eine Angelegenheit nehmen, die eigentlich nur die 17 Eurostaaten betrifft. Denn der Wachstumspakt gilt für alle 27 Mitgliedstaaten. Ansonsten sei es weniger dramatisch zugegangen, als vermutet werde, berichten Teilnehmer hinterher.
Monti kämpft im weiteren Verlauf nicht wie ein Löwe und meldet sich nicht einmal besonders häufig zu Wort. Ihm ist nur wichtig, dass im Fall der Fälle die gefürchtete Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) nicht in sein Land kommt, denn auf einer Stufe mit Griechenland will er nicht stehen. Am meisten redet EZB-Präsident Mario Draghi, der Standpunkte vertritt, die denen der Kanzlerin ähneln. Auch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte ergreift oft das Wort, ein alter Verbündeter Frau Merkels. Hollande sucht eine mittlere Position, er äußert Verständnis für die beiden Südländer, besteht aber wie die Kanzlerin darauf, dass keine neuen Instrumente oder Programme geschaffen werden. Am Ende sei die Atmosphäre nicht so gewesen, dass der Raum sich in Sieger und Besiegte unterteilt habe, sagt ein Teilnehmer. Alle seien mit dem Ergebnis zufrieden gewesen. Monti gratuliert der Kanzlerin. Die fährt ins Hotel Amigo in der Brüsseler Altstadt, um ein paar Stunden zu schlafen, bevor es weitergeht. Das stellt sich bald als Fehler heraus.
Die Deutschen gehen mit der Überzeugung zu Bett, sie hätten ein gutes Papier ausgehandelt. Für die Spanier wird die Möglichkeit geschaffen, Banken künftig direkt aus dem ESM zu rekapitalisieren, so wie Rajoy sich das gewünscht hatte, aber die Kanzlerin hat sich das mit der Zusage bezahlen lassen, dass vorher eine europäische Bankenaufsicht geschaffen wird, die die Kredithäuser dann kontrolliert. Und für Monti gibt es die Bekräftigung, dass die Hilfsfonds EFSF und ESM Anleihen von reformwilligen Staaten aufkaufen oder absichern dürfen, wobei die Deutschen erreicht haben, dass das nach den bestehenden Regeln geschieht.
Die Bedingungen, die in der Gipfelerklärung genannt werden, sind eine Kurzfassung der bestehenden Leitlinien zu EFSF und ESM. Von automatischen Ankäufen ohne Auflagen, wie Monti sie anfangs forderte, ist keine Rede in dem Dokument. Es ist ein klassischer Brüsseler Gipfelkompromiss, wie ihn die Kanzlerin in den vergangenen Jahren schon oft geschlossen hat.
Monti stellt damit nun allerdings etwas an, was nicht nur die Deutschen als grobes Foul empfinden. Die „Chefs“ hatten sich in der Erwartung vertagt, dass Van Rompuy und Kommissionspräsident José Manuel Barroso die Presse über die Ergebnisse informieren würden. Alle anderen sollen sich mit öffentlichen Äußerungen zurückhalten. Das handhabt die EU seit ein paar Gipfeln so, nachdem man gemerkt hatte, dass das Herauskehren eigener Erfolge fürs heimische Publikum die Märkte verwirren kann. Die meisten Gipfelteilnehmer, die morgens um fünf Uhr aus dem Justus-Lipsius-Gebäude schleichen, sprechen deshalb nur ein paar allgemeine Wendungen in die Kameras. Sogar Rajoy sagt den spanischen Journalisten, sie sollten zu Van Rompuys Pressekonferenz gehen. Auf die Frage, ob er zufrieden sei, antwortet er nicht einmal.
- © AFP
Der spanische Ministerpräsident Rajoy beschwichtigt
Nur Monti hält sich nicht an diese Abmachung. Sichtlich zufrieden gibt er an der Ausgangstür des Gebäudes eine kleine Pressekonferenz, in der er ausführlich darstellt, dass er Großes für Italien erreicht habe. „Wir wollten viel, und wir haben am Verhandlungstisch viel Druck ausgeübt“, sagt er. Über den Sieg der italienischen Fußballnationalmannschaft, die wenige Stunden zuvor Deutschland aus der Europameisterschaft geworfen hat, freut er sich gleich auch noch. Damit wirklich alle die Botschaft mitbekommen, sagt er es erst auf Italienisch und dann noch einmal auf Englisch. Manche sagen später, Monti sei da vielleicht einfach der Gaul durchgegangen, schließlich stand er vor dem Gipfel zu Hause unter großem Druck. Sein unberechenbarer Vorgänger Silvio Berlusconi scharrte wieder mit den Hufen, angeblich hing Montis politisches Überleben von dem Gipfel ab.
Für die Bundesregierung hat Montis Auftritt ernste Folgen. Die ersten Agenturmeldungen aus Brüssel haben alle den Tonfall, die eiserne Kanzlerin sei von den Italienern niedergerungen worden, ganz so wie Joachim Löws Team am gleichen Abend. Nach dem Aufstehen merkt die deutsche Delegation schnell, dass sich in Berlin eine Lesart des Gipfelergebnisses durchsetzt, die zu einem Problem für die Abstimmung über ESM und Fiskalpakt werden kann, die am Nachmittag im Bundestag ansteht. Um 10.15 Uhr am Freitagmorgen rufen die Regierungskreise wieder die Presse zu sich, um zumindest den deutschen Medien eine andere Interpretation des Gipfeldokuments nahezubringen. Die Kreise sind müde, die Journalisten auch. Vor allem aber ist das Gipfelergebnis für die Presse immer noch eine Überraschung, auf so einen Text war niemand vorbereitet.
Merkel sorgt höchstpersönlich dafür, dass ein Satz in die Erklärung aufgenommen wird
Auch im Sitzungssaal der „Chefs“ geht es jetzt um Schadensbegrenzung. Es wird überlegt, ob man die Erklärung der Eurozone vielleicht noch einmal ändern oder ergänzen sollte, um dieses nicht gerade literaturnobelpreisverdächtige Stück besser verständlich zu machen. Da dann aber wohl die Märkte durchdrehen würden, die gerade mit den lange ersehnten Kursgewinnen in den Tag gestartet sind, wird diese Möglichkeit verworfen. Der Niederländer Rutte schlägt schließlich vor, zur Klarstellung einen Satz in die Abschlusserklärung aller 27 EU-Länder aufzunehmen, die noch nicht veröffentlicht ist. Frau Merkel geht höchstpersönlich in den Entwurfsraum, wo die hohen Beamten sitzen, und sorgt dafür, dass auf Seite 4 unter Punkt IV a) vermerkt wird, dass die „EFSF/ESM-Instrumente ... im Einklang mit den geltenden Leitlinien, in denen die Verfahren im Einzelnen festgelegt sind, eingesetzt werden“. Das soll für den Bundestag klarstellen: Alles läuft nach Regeln ab, die wir schon lange haben, hier wurde nichts Neues für Italien beschlossen. Entwurfssprache ist Englisch, den Übersetzern wird Druck gemacht, damit die Kanzlerin das Dokument auf Deutsch mit ins Flugzeug nach Berlin nehmen kann.
Ihre Pressekonferenz hält Frau Merkel gegen 13 Uhr, etwa acht Stunden nach Montis Siegesparade. Im modernen Medienzeitalter ist das eine halbe Ewigkeit. Natürlich redet sie viel über die Bankenaufsicht, die sie bekommen hat, und etwas weniger über Bankenrekapitalisierung und Anleihenaufkäufe. Sie versucht ein paar Dinge klarzustellen, die Monti allzu großzügig herausgestrichen hat. So weist sie darauf hin, dass Italien sehr wohl eine Überwachung bekäme und noch dazu einen Zeitplan, sollte das Land beim ESM um vorbeugende Hilfe nachsuchen. Dass die Troika in dem Fall nicht auftauchen würde, hat nämlich nur etwas damit zu tun, dass der IWF, aus dem sie zusammen mit EU-Kommission und EZB gebildet wird, selbst keine Anleihenkäufe vornimmt, also nicht gebraucht würde. Aber solche Feinheiten gehen nach solchen Nächten immer unter. Auch für ein anderes Gipfelergebnis interessiert sich keiner mehr: Mit der Verabschiedung des Wachstumsprogramms über 120 Milliarden Euro schafft die EU die Voraussetzung dafür, dass Hollande den Fiskalpakt zu Hause ratifizieren lässt. Das hatte er im Wahlkampf noch in Frage gestellt, was ganz Europa in Sorge versetzt hatte.
Monti hat sich mit seinem Auftritt keinen Gefallen getan, das spricht sich schnell herum. Noch einmal könne er sich so etwas nicht erlauben, sagt ein Gipfelteilnehmer, das hätten ihm viele übel genommen. Als früherer EU-Kommissar weiß der Italiener eigentlich, dass er die anderen „Chefs“ bald wieder sehen und brauchen wird. Vielleicht gerät seine Abschlusspressekonferenz deswegen deutlich moderater. Da ist er wieder ganz der Wirtschaftsprofessor, der die technisch anspruchsvollen Beschlüsse fachkundig erläutert und vom „gegenseitigen Verständnis“ aller Beteiligten redet. Und Hilfe beim ESM wolle Italien sowieso nicht beantragen.
Quelle: F.A.Z.
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